ZU HAUSE IST MANCHMAL FERN DER HEIMAT.

Als schwuler Oppositioneller und Drag Queen saß er im Iran im Gefängnis, erlitt Folter und Peitschenhiebe. Jetzt lebt Yavar in Berlin, hilft anderen Flüchtlingen – und spricht mit ihnen über HIV.

Wenn sich Yavar ein Kleid anzieht, seine schwarz-rote Perücke aufsetzt, eine Lichterkette aus leuchtenden Rosen in der Mähne drapiert und lasziv den Fächer in die Hand nimmt, wird der 34-Jährige zu Miss Salaam.

Die erste iranische Drag Queen sieht sich als Vorkämpferin gegen Diskriminierung, Intoleranz und Gewalt. „Miss Salaam möchte eine Regenbogenbrücke über die zerbrochene iranische Gesellschaft bauen“, heißt es blumig auf ihrer Facebookseite.

Knapp 500 Fans hat die Kunstfigur. Yavar möchte mit ihr für Verständnis werben, „für alle, die keine Stimme haben und im Dunkeln sind.“

Yavar hat selbst lange im Dunkeln geblüht. Schon in Teheran, wo er bis zu seinem 26. Lebensjahr gelebt hat, ist er als Drag Queen zu Partys gegangen. Dort, wo Homosexualität das Leben kosten kann.

„Wenn Du in einem Land wie dem Iran aufwächst, gehört das Risiko dazu."

„Es gibt eine Redewendung im Iran: Wenn Du im Feuer bist, verstehst Du das Feuer nicht“, erklärt Yavar seine damalige Unerschrockenheit. „Wenn Du in einem Land wie dem Iran aufwächst, gehört das Risiko dazu. Wir wollten Spaß haben und haben nicht gedacht, dass es eine gefährliche Sache ist.“

Eines Nachts stoppt die Polizei das Auto, in dem Yavar und seine Freunde sitzen und nimmt ihn im Drag-Outfit fest. Er wird zu 70 Peitschenhieben und einer Geldstrafe verurteilt.

„Wenn ich jetzt zurück denke, finde ich supermutig, was wir gemacht haben“, sagt Yavar leise. „Ich würde das heute nicht mehr tun.“

Es ist nicht das einzige Mal, dass Yavar im Gefängnis landet. Als Kunststudent an der Teheraner Universität ist er Teil der Studentenbewegung und wird bei einer Demonstration verhaftet. Einen Monat lang wird er gefoltert, die Polizei beschlagnahmt seinen Computer und findet darauf weitere Beweise für Yavars Homosexualität.

„Es war bekannt, dass ich schwul bin. Ich war politischer Aktivist. Da kamen mehrere Gründe zusammen, warum ich da raus musste.“ – Yavar flieht Anfang 2008 zusammen mit seiner Familie nach Europa und landet in einem Asylbewerberheim in der Nähe von Bonn. Zwei Jahre lebt er dort, erlebt aber auch hier Anfeindungen, weil er schwul ist. „Ich habe versucht, möglichst wenig Zeit dort zu sein“, sagt Yavar mit einem Achselzucken.

Erst Jahre später findet Yavar den Ort, an dem er einfach so sein kann, wie er ist: Heute lebt er in Berlin-Kreuzberg und arbeitet als Sozialbetreuer im bundesweit ersten Flüchtlingsheim für Lesben, Schwule und Transsexuelle im nahen Treptow.

„Hier kann man sich ausleben. Deswegen muss man über HIV Bescheid wissen.“

Er wird hier gebraucht,  weil er die Probleme der iranischen Bewohner aus eigener Erfahrung kennt und ihre Sprache spricht. Wer mit ihm durch das Haus geht, muss alle paar Meter stehen bleiben, weil Yavar immer wieder angesprochen wird und Fragen beantworten muss. Nicht selten bleibt er länger als seine Arbeitszeit es vorschreibt.

Yavar ist ein ruhiger Gesprächspartner, zurückhaltend, im Interview fast ein wenig schüchtern. Aber er weiß sehr genau, was er zu sagen hat. Ein Zappa-Zitat bringt es für ihn auf den Punkt: „Dein Geist ist wie ein Fallschirm. Er arbeitet nur, wenn er geöffnet ist.“

In den persönlichen Gesprächen thematisiert Yavar auch immer wieder HIV. Er weiß: Die Flüchtlinge sind in einer besonderen Situation: „Wir kommen aus einer komplett geschlossenen Gesellschaft, und in Berlin gibt es so viele Clubs und Partys“, erklärt der Iraner seine Sorge, „Du kannst jede Nacht Sex haben. Und natürlich wollen wir uns ausleben. Deswegen muss man über HIV Bescheid wissen.“

Viele wissen nicht viel darüber und wollen zunächst auch nichts von Safer Sex wissen. Yavar hat dafür Verständnis. Er weiß: Es steckt viel Angst hinter dieser Haltung. „Wenn Du Dein ganzes Leben lang ungeschützten Sex gehabt hast und Dir keiner gesagt hat, dass es HIV gibt, dann willst Du darüber nicht nachdenken.“

„Ich hatte ein traumatisches Coming-out, aber jetzt ist alles gut.“

Im Iran sei eben alles, was mit Sex zu tun hat, tabu. Selbst in seiner Familie, die Yavar als intellektuell und politische links beschreibt, sei es ein Problem gewesen, über seine Homosexualität zu sprechen. „Ich hatte ein langes Trauma-Coming-Out, aber jetzt ist alles gut. Das ist das Wichtigste.“

Mit Miss Salaam hat Yavar einen Weg gefunden, das Schweigen zu brechen und ein möglichst großes Publikum anzusprechen. In kleinen Youtube-Videos, die er mit dem zu Hause mit dem Handy aufnimmt, klärt sie über Homo- und Transphobie auf, spricht offen über HIV oder macht Witze über Rassismus. „Es ist eine gute Strategie, um die iranische Community ansprechen“, sagt Yavar.

Und als Drag Queen kann er seine beiden großen Leidenschaften verbinden: Kunst und Politik. Den Partygirls und –boys möchte er Inhalte näher bringen, den Aktivist_innen ein bisschen Schönheit.

„Ich habe keine Botschaft,“ sagt Yavar, „ich bin die Botschaft.“

 

Frauke Oppenberg

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