GEMEINSAM SIND WIR STARK!
Todkrank kam Lillian in Deutschland an – und wurde gerettet. Heute hilft sie anderen HIV-Positiven aus Afrika. Kraft schöpft sie aus der Selbsthilfe
Lillians Terminkalender ist randvoll. Auch am Sonntag. Morgens war sie im Gottesdienst, danach hat sie ein Fairtrade-Frühstück organisiert. Gleich steht die Vorstandssitzung des „Haus Afrika e.V.“ an, eine Begegnungsstätte für Migrant_innen in Saarbrücken. Lillian arbeitet dort als Assistentin der Geschäftsleitung. Dazwischen hat sie unser Interview über ihre Aktivitäten in der HIV-Selbsthilfe geschoben.
„Wenn mein Terminkalender reden könnte, würde er mich fragen, ob ich nicht auch noch eine Familie habe“, lacht die quirlige Mittvierzigerin.
Familie hat sie. Ihren Mann Manfred hat sie vor vierzehn Jahren in Halle kennen gelernt. Damals ist gerade ihre Tochter zur Welt gekommen. Gemeinsam ziehen die drei nach Saarbrücken. Dem Familienglück steht nichts mehr im Wege: Wegen ihrer HIV-Infektion bekommt Lillian ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, weil in Uganda keine ausreichende Behandlung zur Verfügung stand.
„Am Anfang habe ich viel Ablenkung gebraucht“
Im Haus Afrika hilft Lillian zunächst nur bei Übersetzungen. Doch immer mehr Menschen suchen bei ihr Unterstützung, weil sie so offen mit ihrer HIV-Infektion umgeht. Sie tröstet, gibt Ratschläge und trifft den richtigen Ton, hilft anderen, die Infektion zu akzeptieren und wieder Mut zu fassen.
„Am Anfang habe ich viel Beschäftigung gebraucht, um mich von meiner eigenen Geschichte abzulenken“, erzählt Lillian, „aber jetzt geht es mir ja gut und ich merke langsam: Die Arbeit braucht mich.“
Lillians eigene Geschichte beginnt in Uganda. In den 90er Jahren bringt Lillian dort ihr erstes Kind zur Welt. Doch der Junge ist schwer behindert und leidet früh an Tuberkulose. Er stirbt mit sechs Monaten. „Ich habe das Wichtigste in meinem Leben verloren. Das hat mich so viel Kraft gekostet“, erinnert sich Lillian.
In derselben Zeit steigt die Zahl der HIV-Infektionen in Uganda dramatisch an. Lillian berät in der kirchlichen Seelsorge Menschen mit HIV. Zugleich bekommt sie Angst, dass auch sie betroffen sein könnte. Sie weiß: „Wenn du HIV hast, dann schließen Familie und Freunde dich sofort aus.“ So kommt eine Belastung zur anderen. Es ist die schlimmste Zeit in ihrem Leben. „Ich musste da weg“, sagt sie, „egal, wohin.“
Rettung in letzter Sekunde
Im Juni 2000 flieht Lillian nach Deutschland. In letzter Sekunde. Sie leidet an einer offenen Tuberkulose, als sie in der Erstaufnahmeeinrichtung ankommt. Noch in der ersten Nacht dort rufen die Helfer den Notarzt. „Ich habe nicht gewusst, dass es so schlimm ist“, erzählt Lillian. „Aber als sie mir im Krankenhaus die Sauerstoffmaske abnehmen wollten, habe ich gemerkt: Oh, ich kann nicht mehr atmen.“
Lillians Blut wird untersucht. Ergebnis: HIV-positiv. Gerade mal sieben Helferzellen können die Ärzte noch feststellen. Das Virus hat ihr Immunsystem schon fast komplett zerstört.
Von da an kann es nur noch besser werden: Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus findet Lillian Unterstützung bei der Aidshilfe Halle, wo sie damals lebt. Sie besucht Seminare, sammelt Informationen über HIV. Und sie nimmt Kontakt zu Afro-Leben+ auf. In diesem Netzwerk von HIV-positiven Migrantinnen und Migranten findet sie Menschen mit ähnlichen Geschichten. Der Zusammenhalt ist groß. „Wir haben alle viel erlebt und sind so weit mit dieser Krankheit gekommen!“, sagt Lillian. Es klingt dankbar.
Voller Einsatz gegen Diskriminierung – auch unter HIV-Positiven
Dass Menschen an ihrer Seite sind, sei ihr wichtiger als ihre Medikamente, fügt sie hinzu. „Wir sind eine Familie. Ich weiß, wenn ich irgendwann nicht mehr bin, hat meine Tochter im ganzen Land Verwandte.“
Lillian wünscht sich mehr Zusammenhalt aller Menschen mit HIV, egal welcher sexuellen Orientierung, Herkunft oder sozialen Schicht. „Wir kämpfen gegen Diskriminierung und diskriminieren uns gleichzeitig gegenseitig. Das kann nicht funktionieren“, sagt sie empört. „Wenn wir uns nicht für andere engagieren, wird das so bleiben. Es geht um HIV. Wir müssen in der Lage sein, das Haus zu teilen.“
Auch deshalb arbeitet sie jetzt im Vorbereitungsteam der Positiven Begegnungen, einer großen bundesweiten Konferenz zum Leben mit HIV, organisiert von der Deutschen AIDS-Hilfe.
Noch ein Job mehr, der Lillians Terminkalender füllt, aber das macht ihr nichts aus: „Ich bekomme jeden Tag neu von Gott geschenkt, 24 Stunden, aus denen ich etwas machen muss!“
Frauke Oppenberg