HEROIN KANN LEBEN RETTEN.
Britta ist seit 25 Jahren heroinabhängig. Nach mehreren erfolglosen Therapien hat sie nun wieder ein fast normales Leben – dank Diamorphin, pharmazeutisch erzeugtem Heroin, das sie in einer Ambulanz erhält
Wer Britta* trifft, kommt nicht auf die Idee, dass sie etwas mit Drogen zu tun haben könnte. Schon gar nicht, dass ihr Leben inmitten eines Glaubenskrieges der Drogenpolitik spielt. Im ersten Moment wirkt die 42-Jährige fast unscheinbar, mit ihrem vorsichtigen Lächeln und dem gemütlichen badischen Akzent. Nach ein paar Sätzen wirkt sie patent, man könnte sagen: bodenständig.
FÜR VIELE IST DIAMORPHIN DER LETZTE AUSWEG
Britta wohnt in einem kleinen schweizerischen Ort, nahe der Grenze zu Deutschland. Sie pendelt täglich nach Singen, wo sie als Rechtsanwaltsgehilfin arbeitet, eine halbe Stunde mit der Bahn. In Singen ist sie geboren und aufgewachsen. Ihre Liebe gilt ihrem Mann, drei Katzen und ihrem Pferd, bei dem sie die Welt vergessen kann.
Brittas Leben ist normal, wirkt fast spießig – doch sie musste hart darum kämpfen. In der Schweiz lebt sie, weil sie in Deutschland nicht vom Heroin weggekommen wäre. Die nötige Therapie gab es für sie nur jenseits der Grenze: Britta erhält das Medikament Diamorphin, das ist pharmazeutisch erzeugtes Heroin, das über ein staatliches Programm ausgegeben wird.
„Ich bin so froh“, sagt Britta. „Wenn das auch in Singen möglich gewesen wäre, hätte ich das schon viel früher gemacht.“ Zwar ist die Behandlung mit Diamorphin auch in Deutschland möglich, doch es gibt viel zu wenige Therapieplätze (siehe Kasten). Singen ist mit seinen knapp 45.000 Einwohnern zu klein für eine Diamorphin-Ambulanz. Wahrscheinlich ist es auch zu konservativ. Der Bürgermeister ist von der CDU, sein schärfster Konkurrent bei der letzten Wahl war es ebenfalls.
Als Britta mit 18 zum ersten Mal die Droge nahm, die schon bald ihr Leben bestimmen sollte, war das auch „ein Akt der Rebellion“. Mit 17 zu Hause ausgezogen, lebte sie in einer Schüler-WG. Das Verhältnis zur Mutter, einer Kneipenwirtin, war kompliziert, den Vater sah sie nur selten. In der Drogenszene fand sie Freunde, hier fühlte sie sich akzeptiert. „Das waren keine Spießer. Hier konnte ich so sein, wie ich bin, und über Sachen reden, die mir wichtig waren.“ Dass Drogen im Spiel waren, fand sie anfangs erschreckend, dann aufregend. Heroin nahm sie, weil auch ihr Freund spritzte.
Irgendwann war alles zu spät. Über zwei Jahrzehnte lang drehte sich Brittas Leben um die Finanzierung und Beschaffung der Droge. Sie ging anschaffen und dealte, landete im Gefängnis. Immer wieder versuchte Britta, von der Droge loszukommen, machte Therapien, war in Entzugskliniken – und besorgte sich dann doch wieder Heroin. Auch eine Methadon-Therapie schlug fehl. Es ging ihr wie vielen Abhängigen: Weil das Medikament keinen Rausch verursacht, blieb der Suchtdruck: „Ohne funktionierte es einfach nicht.“ Diamorphin hilft in solchen Fällen, denn es gibt den Patienten den gewohnten Kick, wenn es gespritzt wird.
Genau deswegen sind die Vorbehalte groß. Macht der Staat sich hier nicht zum Dealer? Unterstützt die Gesellschaft auf diesem Weg nicht Drogenabhängigkeit? Diese Fragen treten in den Hintergrund, wenn man sich die individuellen Lebensgeschichten anschaut: Diamorphin hilft. Für viele ist es der letzte Ausweg. Was die Sucht bis dahin verhinderte, wird nun doch möglich: Schluss mit Beschaffungsdruck, Schluss mit Gesundheitsrisiken wie HIV und Hepatitis. Der Rückweg in einen geregelten Alltag ist wieder offen.
Die Auflagen dieser Therapieform sind strikt: Zweimal pro Tag, vor und nach der Arbeit, besucht Britta eine Ambulanz, um ihr Diamorphin zu konsumieren. In Deutschland müsste sie noch eine halbe Stunde dort ausharren – falls Probleme auftreten. In der Schweiz wird nur verlangt, dass sie ihren Platz sauber hinterlässt.
„ICH HABE KATZEN, DA WILL ICH KEIN RISIKO EINGEHEN“
Britta nimmt die beiden zusätzlichen Termine gerne auf sich: Sie ist raus aus dem Stress der Abhängigkeit, weg vom Dealen. Ins Gefängnis will sie auf keinen Fall mehr: „Ich hab Katzen, da will ich kein Risiko eingehen, in den Knast zu kommen.“ Stattdessen geht sie pünktlich und zuverlässig zur Arbeit. Abends kann sie zur Ruhe kommen, mit ihrem Mann fernsehen oder sich um ihr Pferd kümmern.
Was für andere Menschen normal scheint, ist für Britta noch immer Luxus.
Malte Göbel
*Name geändert