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HIV-positiv – den Schock muss Moritz erst mal verdauen. In der Aidshilfe trifft er Thomas: gleiches Alter, auch Student – und positiv. Sein ganz persönlicher „Buddy“ zeigt Moritz, wie das geht: Leben mit HIV

Wie sieht ein Mann aus, der HIV hat? Moritz hat keinen blassen Schimmer, als er in das kleine Besprechungszimmer der Freiburger Aidshilfe tritt. Ein schlichter Raum, ein Tisch, zwei Stühle. Dort wartet Thomas*. „Ich sah ihn an und dachte nur: Wow, sexy!“, erzählt Moritz und lacht auf, weil das so gar nicht passt: „HIV“ und „sexy“.

„Mein Buddy sah erschreckend gesund aus“, erinnert sich der 26-jährige Literatur-Student mit einem Grinsen. Der einzige Positive, den Moritz bis dahin gekannt hatte, war er selbst, und er hatte Angst vor körperlichen Veränderungen.

Moritz‘ HIV-Diagnose lag da schon ein halbes Jahr zurück. Das Treffen mit dem „Buddy“ war ein Angebot der Aidshilfe. PUMA heißt das Projekt, das steht für „Positive Unterstützung – Miteinander aktiv“. Die Idee dahinter: Der eine hat gerade erst erfahren, dass er HIV hat, der andere lebt schon seit einigen Jahren damit und kann Tipps geben. Idealerweise haben die beiden „Buddys“ einen ähnlichen Hintergrund: Thomas ist nur ein paar Jahre älter als Moritz, ebenfalls Student, ebenfalls schwul.

„ES AUSSPRECHEN HIESS AKZEPTIEREN, DASS ICH POSITIV BIN“

Wenn Moritz erzählt, wirkt es nicht so, als würde seine HIV-Infektion ihn belasten. Sommerlich braun gebrannt und mit einem bunt gestreiften Shirt, das so aussieht, als ob er es links rum trüge, sitzt er entspannt da, den Oberkörper weit zurückgelehnt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Und doch hat ihm das Thema seit seiner Diagnose vor drei Jahren keine Ruhe gelassen. „Ich hatte damals das dringende Bedürfnis, einen Positiven kennenzulernen“, sagt Moritz. „Ich wollte wissen: Wie lebt man mit HIV?“

Das erste Treffen zwischen Moritz und seinem Buddy ist noch recht förmlich und mit Sicherheitsnetz: Im Nebenraum sitzt ein psychologisch geschulter Mitarbeiter. „Wenn ich zusammengebrochen wäre, hätte der mich aufgefangen.“ Doch von Krise keine Spur. Ganz im Gegenteil: Moritz ist glücklich.

„Durch das Treffen ist bei mir ein Knoten geplatzt“, erinnert er sich heute. „Es gab danach keinen Moment mehr, wo ich mich selbst beobachtet habe mit dem Gefühl: Hier stehe ich, der Kranke – und um mich herum überall Gesunde.“ Dieses Gefühl hatte Moritz davor bei geselligen Anlässen, zum Beispiel Partys, oft.

Moritz und Thomas finden sofort einen Draht. Schon das nächste Treffen organisieren sie privat, in einem Café, vor Unibeginn. Das Frühstück startet mit einer Lektion in Sachen „Alltag mit HIV“. „Thomas hat sich die HIV-Tabletten zum Cappuccino eingeschmissen“, erzählt Moritz. „Da dachte ich nur: Ach, so locker kann man damit umgehen?“ Erst später hat Moritz erfahren, dass Thomas lange nachgedacht hat, ob er seine Medikamente wirklich vor Moritz‘ Augen einnehmen soll. „Das war aber gerade gut“, betont Moritz. „Er hat mir damit demonstriert, dass HIV normal sein kann. Es kommt drauf an, wie man selbst damit umgeht.“

Lange hatte Moritz gezögert, bevor er die Aidshilfe anmailte. Wozu auch? Er war ja nicht allein: Als der HIV-Schnelltest positiv ausfiel und er eine knappe Woche auf das Resultat des Bestätigungstests warten musste, haben seine Freunde und Geschwister mit ihm gebangt. Zum Termin bei der Ärztin hat ihn sein bester Freund begleitet. Seine Eltern haben es sofort danach erfahren. „Ich habe mit vielen darüber gesprochen“, sagt Moritz, „weil es mir besser geht, wenn ich über so was rede.“ Aber sich gegenüber einem Fremden outen? Unvorstellbar! „Es auszusprechen heißt, HIV zu akzeptieren. Und ich wollte am Anfang nicht akzeptieren, dass ich positiv bin.“

UNTERWEGS MIT DEM BUDDY: HIV-TABLETTEN ZUM CAPUCCINO

Sechs Wochen hat es gedauert, bis Moritz „mutig genug“ war. „Ich wusste ja noch nicht einmal, wie ich mich da melden soll“, berichtet er. „Sollte ich sagen: Hi, ich bin Moritz und habe ein positives Testergebnis bekommen? So wie in diesen klischeehaften Szenen mit Anonymen Alkoholikern aus Hollywood-Komödien?“ Aber nach Lachen war ihm nicht zumute. „Es geht nicht darum, diesen Satz öffentlich auszusprechen“, weiß Moritz mittlerweile. „Man muss ihn für sich selbst sagen können. Aber das funktioniert erst, wenn man die Infektion gut verarbeitet hat.“

Den Schritt in die Aidshilfe schaffte Moritz alleine. Bei den nächsten Schritten hat ihn dann sein Buddy begleitet. „Sogar zu Positiven-Seminaren hat er mich mitgeschleift“, berichtet Moritz und lacht. Er selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, doch die Treffen waren genau das Richtige. „Jeder liefert seinen Teil dazu, dass so eine optimistische Blase entsteht“, beschreibt Moritz die Stimmung dort. „Das Gefühl nimmt man mit, und irgendwann hat man diesen Optimismus verinnerlicht.“ Mit jedem Treffen kam Moritz dem Punkt näher, an dem er die anfangs so erdrückende Wahrheit endlich akzeptieren konnte – und damit leben.

Gerade mal zwei Jahre später schon die ganz große Nummer: Moritz eröffnet der gesamten Republik, dass er positiv ist – als einer der Botschafter der Kampagne „Positiv zusammen leben“ zum Welt-Aids-Tag. Sein Gesicht in Zeitschriften, sein Gesicht im Fernsehen. Wirkungsvoller als mit „RTL Punkt 12“ kann man sich vielleicht gar nicht outen. „Ich kam darin nur drei Sekunden lang vor, aber gefühlt haben alle Freiburger diese Sendung gesehen“, sagt Moritz.

Im Bistro, wo er damals jobbte, begannen die Jungs in der Küche zu tuscheln. Der Chef bat ihn zum Gespräch. Seine wichtigste Ansage: „Natürlich kannst du hier weiterarbeiten!“ „Da war ich total happy“, erzählt Moritz, „aber er hatte Sorge, dass die Neuigkeit seinen Laden aufmischt.“ Moritz sollte die Kollegen informieren. „Dann habe ich nach und nach alle beiseite genommen und ihnen reinen Wein eingeschenkt.“ Auch diejenigen, die doch nicht RTL geschaut hatten. Die Reaktionen: „Einfach unglaublich.“

Mit den Kollegen der Nachtschicht hat Moritz morgens um drei gesprochen, als sie den Laden gerade zugemacht hatten. Alle saßen um den Stammtisch und tranken einen Absacker. „Irgendwann habe ich dann einfach das Kampagnenplakat rausgeholt und auf den Tisch gelegt“, berichtet Moritz.

Auf dem Plakat steht: „Ich habe HIV. Und den Rückhalt meiner Freunde.“ Ein Barkeeper nimmt das Plakat in die Hand, betrachtet es schweigend. Moritz lacht leise, als er sich die Szene in Erinnerung ruft. „Du musst dir einen 1,85 Meter großen Typen vorstellen, einfach ein richtig muskulöser Kerl mit kurz geschorenen Haaren. Der hat das in der Hand gehabt – und angefangen zu weinen.“

Die Anteilnahme überwältigt Moritz. „Dass sich der zu solchen Emotionen hinreißen lässt, die er mir nicht schuldet, das hätte ich vorher nicht gedacht.“ Es folgten viele gute Gespräche. Sechsmal hat Moritz seinen ganzen Mut zusammengenommen und sich geoutet. Vor 40 Mitarbeitern. „Sechsmal wusste ich nicht, wie die Kollegen darauf reagieren.“

DAS OUTING BEI RTL PUNKT 12 SAH GANZ FREIBURG

Sechsmal wurde Moritz‘ Mut belohnt. Er hat HIV, und das ist okay – für ihn und für die Menschen um ihn herum. „Nach der Bistrogeschichte wusste ich: Mir kann so schnell nichts mehr passieren.“

Im Bistro, in der Uni, in der Beziehung mit seinem letzten Freund – Moritz hat die Erfahrung gemacht, dass das Leben mit HIV weitergeht. Eine Therapie braucht er im Moment noch nicht, es geht ihm gut. Dass dieser neue Lebensabschnitt mit seinem Buddy anfing, hat er nicht vergessen: „Durch ihn habe ich gesehen, dass man auch mit HIV gut leben kann“.

Philip Eicker

*Name geändert

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