ZUM ÜBERLEBEN BRAUCHT MAN PAPIERE.

Der Hamburger Arzt Thomas Buhk behandelt auch Menschen mit HIV, die ohne Papiere in Deutschland leben. Um Leben zu retten, verstößt er gegen Vorschriften

Thomas Buhk ist ein korrekter Mensch. Sein Kopf ist kurz rasiert, das weiße Hemd glatt gebügelt. Wenn der Hamburger Arzt spricht, benutzt er die Hände, pro Argument einen Finger: Erstens, zweitens, drittens… Jedes der Argumente packt er mit der anderen Hand und hält es fest, während er spricht.

Es ist unübersehbar: Dem 53-Jährigen ist es ernst. Er ist unzufrieden, weil ihn Behörden der Stadt Hamburg in seiner ärztlichen Tätigkeit behindern. Manchmal muss er sogar gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, um Patienten zu helfen.

So wie kürzlich bei einem Mann aus Ghana. Der Bluttest war eindeutig: fortgeschrittene HIV-Infektion, nur noch 140 Helferzellen pro Mikroliter Blut. Bei einem Wert unter 200 drohen schwere aidstypische Krankheiten wie Lungenentzündungen. „Da war klar, der braucht sofort eine Therapie“, berichtet Dr. Buhk, „zumindest eine Prophylaxe gegen die gefährlichsten Infektionen.“

TOD NACH BESUCH IN DER NOTAUFNAHME

Dieser Patient aber hatte kein Aufenthaltsrecht in Deutschland und deshalb keine Krankenversicherung. Um Schlimmeres zu verhindern, nimmt Dr. Buhk in Situationen wie dieser die nötigen Tabletten aus Restbeständen – obwohl Ärzte Medikamente nicht lagern und an Patienten weitergeben dürfen.

„Ich muss in solchen Fällen improvisieren, um einen politischen Mangel auszugleichen“, erklärt der HIV-Mediziner. Er gerät dabei in eine rechtliche Grauzone.

Seinem Patienten aus Ghana hat Thomas Buhk deshalb empfohlen, einen Rechtsanwalt aufzusuchen und Asyl zu beantragen. Nur so besteht die Möglichkeit, über das Asylbewerberleistungsgesetz an Gesundheitsleistungen zu kommen. „Es gibt keine Garantie, aber die Aussichten sind bei HIV-Positiven vergleichsweise gut.“ Allerdings ist HIV kein Asylgrund, und ob die Infektion als Abschiebehindernis akzeptiert wird, steht auf einem anderen Blatt.

Wer das Risiko einer Abschiebung nicht eingehen möchte, muss mit einem absoluten Notprogramm zurechtkommen. „Eine vollwertige HIV-Therapie ist so unmöglich“, sagt der Spezialist, „die Therapiekosten sind zu hoch.“ Allein die vierteljährlich empfohlene Blutuntersuchung kostet rund 260 Euro.

Im schlimmsten Fall bezahlen die Menschen mit ihrem Leben, so wie eine Hamburgerin aus Ecuador. Sie kommt mit Durchfall, Kopfschmerzen und Krämpfen in die Notaufnahmen verschiedener Krankenhäuser und wird nach einigen Untersuchungen wieder nach Hause geschickt.

Drei Tage später findet eine Freundin sie tot in der Wohnung. Die Obduktion ergibt: Erstickt bei einem Krampfanfall, ausgelöst durch eine Pilzinfektion im Gehirn. Eine aidstypische Erkrankung. „Unter normalen Umständen hätte man eine Computertomografie gemacht, eine Diagnose gestellt und sie rechtzeitig mit Erfolg therapieren können“, erklärt Dr. Buhk. Aber darauf wurde aufgrund des unklaren Versicherungsstatus verzichtet.

EINE POLITISCHE LÖSUNG IST UNVERZICHTBAR

„Wir müssen es diesen Menschen einfacher machen, an grundlegende Gesundheitsleistungen zu kommen“, fordert der Infektiologe, „und zwar ohne dass sie ihren Aufenthaltsstatus offenlegen müssen.“ Er bemüht sich deshalb um eine politische Lösung dieses Problems, zumindest auf Hamburger Ebene. Doch die Behörden mauern. Ihre größte Sorge: Hohe Kosten und ein Missbrauch des Gesundheitssystems. Für Dr. Buhk ist das kein Argument: „Möglich wäre zum Beispiel eine Gesundheitskarte, mit der Patienten in Notsituationen bestimmte, begrenzte Leistungen abrufen können.“

Solange die Politik keine Lösung ermöglicht, muss der Arzt für jeden einzelnen Patienten alle Hebel in Bewegung setzen. Dass er dafür einmal Schwierigkeiten bekommen könnte, glaubt er nicht. Wenn, dann würde er für seine ärztliche Pflicht, Leben zu retten, in den Ring steigen. Doch die Realität sieht anders aus: Die Hamburger Behörden wissen von seiner Arbeit und schicken ihm sogar Menschen ohne Papiere in die Sprechstunde.

Oft kann Dr. Buhk helfen. Der HIV-Patient aus Ghana hat sich gut erholt. Inzwischen hat er nicht nur eine Duldung erhalten, sondern auch einen Job gefunden: verrückterweise bei der Stadt Hamburg. Thomas Buhk wirkt zufrieden, als er davon erzählt. Aus dem „illegalen“ Einwanderer ist ein ganz normaler Patient geworden: „So soll es sein!“

Philip Eicker

Dr. Thomas Buhk ist Arzt am Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg

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