MIT HIV KANN MAN FLIEGEN.

Sven arbeitet sein zehn Jahren als Flugbegleiter und liebt seinen Job. Dass er HIV-positiv ist, sagt er bei der Arbeit lieber niemandem. Andere können ihren Traumberuf erst gar nicht ergreifen – obwohl nichts dagegen spricht

An dieser Stelle wollten wir Ihnen einen Menschen vorstellen, der seinen Traumberuf ergriffen hat. Auf der rechten Seite sollte Sie ein Pilot oder Flugbegleiter* in einer feschen Uniform freudig anlächeln. Wir wollten damit zeigen: Es ist möglich. Man kann auch mit einer HIV-Infektion in der Luftfahrt arbeiten. Das ist nicht selbstverständlich. Bis vor kurzem war Pilot der einzige Beruf, den Menschen mit HIV nicht ergreifen konnten. Auch bei den Einstellungsuntersuchungen für Flugbegleiter wurden HIV-positive Bewerber meist aussortiert.

NACH MEINEM HIV-TEST HATTE ICH EXISTENZANGST

Das hat sich mittlerweile verändert. Bei den Piloten entscheidet nach neuen europäischen Vorschriften nicht die Infektion, sondern der individuelle Gesundheitszustand, ob jemand fit fürs Cockpit ist. Angehende Flugbegleiter müssen sich bei manchen Airlines keinem HIV-Test mehr unterziehen. Andere testen nach wie vor, HIV ist aber offiziell kein Ausschlusskriterium mehr – die Praxis sieht allerdings teilweise anders aus.

Natürlich gibt es längst zahlreiche HIV-positive Flugbegleiter und auch einige Piloten. Die meisten haben sich erst infiziert, nachdem sie ihren Job bereits angetreten hatten. Ein Kündigungsgrund ist die Infektion nämlich nicht – schließlich wird HIV nicht übertragen, wenn man jemandem einen Tomatensaft überreicht oder die Schwimmweste erklärt. Doch wer einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, ist damit nicht zwangsläufig auf der sicheren Seite.

Da ist zum Beispiel Marc aus Köln**. Der 23-Jährige ist seit einigen Monaten Flugbegleiter. Kürzlich hat er einen Anruf von seinem Arbeitgeber bekommen: Man habe bei der Einstellung nicht alle erforderlichen medizinischen Untersuchungen vorgenommen. Unter anderem fehle noch ein HIV-Test. Marc weiß, dass er HIV-positiv ist, und fürchtet nun um seinen Job.

Oder Torben, 28, aus Düsseldorf. Er arbeitet schon seit einigen Jahren als Flugbegleiter bei einer Billig-Airline. Woanders könnte er besser verdienen. Gerne wäre er auch in Berlin stationiert, wo sein Lebensgefährte lebt. Sich wegzubewerben, traut er sich nicht. Beim HIV-Test wäre vielleicht Endstation.

Und da ist Sven, 34, aus Berlin. Er fliegt seit zehn Jahren und liebt seinen Beruf. Vor vier Jahren bekam er sein positives Testergebnis. „Auf einmal hatte ich Existenzangst. Ich wusste nicht: Kann ich in dem Job weitermachen?“ Bis heute erzählt er in seinem Arbeitsumfeld niemandem von seiner Infektion. Er hat Angst vor Zurückweisung. „Die Fliegerei ist eine schöne heile Welt, in der alle immer lächeln, da weiß man nicht, wie Kollegen oder Vorgesetzte reagieren.“

Und nicht zuletzt ist da noch einer wie Daniel aus Siegen, 22, der bereits alle Tests bestanden hatte. Nur der HIV-Test fehlte noch. Wenn der negativ ist, haben Sie den Job, erklärte man ihm. Daniel erstarrte. Sein Berufswunsch liegt seit diesem Moment auf Eis.

Und warum das Ganze? Die Fluggesellschaften argumentieren ausgerechnet mit ihrer Fürsorgepflicht. Der Beruf des Flugbegleiters sei sehr anstrengend – nichts für Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Zeitverschiebungen könnten die regelmäßige Tabletteneinnahme erschweren.

Eine Haltung, die auf Vorurteilen beruht: „Zahlreiche Flugbegleiter mit HIV beweisen längst, dass sie fit sind für den Job und sich sehr wohl ausrechnen können, wann sie ihre nächste Tablette nehmen müssen“, sagt Silke Eggers, Expertin der Deutschen AIDS-Hilfe für das Thema.

„TUT UNS LEID, ABER WIR HABEN ANGST, DASS WIR FLIEGEN“

Um genau das zu illustrieren, haben wir viele Flugbegleiter gefragt, ob sie uns ihre Geschichte erzählen würden. Die Antwort war immer die gleiche: Auf keinen Fall mit Namen oder Foto. Tut uns leid, aber wir haben Angst, dass wir uns alle Aufstiegschancen vermasseln oder – nun ja – fliegen.

Mittlerweile sind wir sogar froh, dass wir niemanden gefunden haben. Ein glücklich lächelnder HIV-positiver Pilot oder Flugbegleiter hätte ein falsches Bild abgegeben. Die Wahrheit ist: Mit HIV kann man fliegen. Aber von einem Traumberuf kann man erst sprechen, wenn man auch stolz davon erzählen kann.

Holger Wicht

*Oder eine Pilotin oder Flugbegleiterin, aber tatsächlich sind die allermeisten HIV-Positiven mit diesem Berufswunsch Männer.

**Alle Namen und Städte geändert.

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