MENSCHENRECHTE MÜSSEN HINTER GITTER.

Jan saß im Gefängnis. Das war lebensgefährlich: Ein Jahr lang hat der HIV-Patient nicht die notwendige Therapie bekommen. Nun will er die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen

Das Wort „Knast-Karriere“ ist eigentlich nicht als Kompliment gedacht. Bei Jan* bekommt der Begriff eine ganz neue Bedeutung. Seine Haftzeit von vier Jahren und fünf Monaten hat der 39-Jährige genutzt, um Jura zu studieren. „So hab ich meine Zeit ganz geschmeidig rumgebracht“, erzählt Jan in breitem Thüringisch. „Wenn ich 23 Stunden nur auf dem Bett gelegen hätte, wäre ich durchgedreht.“ Und noch einen Grund gibt es, warum er das Recht studiert hat: Jan fühlt sich um seine Gesundheit betrogen.

„KEINER DER ANSTALTSÄRZTE HATTE EINEN BLASSEN DUNST VON HIV“

Jan ist HIV-positiv, das weiß er seit 2001. Zum Glück hat er eine robuste Gesundheit. Als er im März 2009 seine Haftstrafe antreten muss, nimmt er keine Medikamente und fühlt sich gut.

Das ändert sich schlagartig, als er im November 2011 in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt wird. Der nun zuständige Arzt schlägt Alarm: Das Labor meldet nur noch 108 Helferzellen pro Mikroliter Blut. Nach den Leitlinien der Deutschen AIDS-Gesellschaft sollen Ärzte spätestens ab einem Wert von 350 Zellen mit einer HIV-Therapie beginnen. Sinkt der Wert unter 200, drohen lebensbedrohliche Lungenentzündungen, Pilzinfektionen und andere schwere Erkrankungen. „Der hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“, erzählt Jan. „Das war ein Hammer, wie eine zweite HIV-Diagnose.“

Die ganze Wahrheit über seinen Gesundheitszustand erfährt Jan erst nach und nach anhand früherer Laborberichte. Schon länger als ein Jahr, so berichtet er, hatten seine Werte nur knapp über 200 Helferzellen gelegen. Einmal hatte das Labor sogar schriftlich vermerkt: „Einleitung einer HIV-Therapie dringend erforderlich.“ Trotzdem, berichtet Jan, bekam er mindestens ein Jahr nicht die Gesundheitsversorgung, die in Deutschland Standard ist. „Du wirst für blöd verkauft mit dem Satz: Es ist alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen. Und dann das.“ Böse Absicht? Jan glaubt eher an Inkompetenz: „Von den drei Anstaltsärzten hatte keiner einen blassen Dunst von HIV.“

Auf die Anstaltsärzte aber war Jan angewiesen. Eine freie Arztwahl wie außerhalb des Vollzugs gibt es nicht. In Ausnahmefällen kann ein HIV-Patient zwar an einen Schwerpunktarzt überwiesen werden, doch das war kein Thema. „Da ich nie krank war, hatte ich nicht das Gefühl, deswegen mit dem Arzt streiten zu müssen“, berichtet er. Seine bittere Vermutung: Die Verantwortlichen wollten gar nicht so genau Bescheid wissen. Eine HIV-Therapie ist teuer, die Behandlungskosten trägt immer die zuständige JVA.

Rückblende: Ende der 90er Jahre geht es Jan gut. Der kleine, stämmige Bankkaufmann hat mit großem Erfolg eine Immobilienfirma gegründet: zwölf Angestellte, Büros in mehreren Städten, das Geschäft floriert. Jan hat versucht, diesen guten Eindruck auch noch aufrechtzuerhalten, als die Pleite des Holzmann-Konzerns ihn längst ruiniert hatte. Er kam hinter Gitter wegen verschleppter Insolvenz, unterschlagenen Sozialabgaben und Kreditkartenbetrug. „Wenn man gegen den Wertekanon der Gesellschaft verstößt, muss man dafür geradestehen“, sagt er heute. „Aber musste ich mir deswegen meine Gesundheit zerstören lassen?“

DIE VERPASSTE THERAPIE LÄSST IHN BIS HEUTE NICHT LOS

Seit August 2013 ist Jan wieder ein freier Mann – und will die Verantwortlichen auf Schmerzensgeld verklagen. Als er seine juristische Strategie im Kaffeehaus darlegt, wischt er so energisch über den Tisch, dass sein Wasser aus dem Glas schwappt. „Mein Grundrecht auf Gesundheit wurde mit Füßen getreten“, sagt er dann leise.

Die verpasste Therapie lässt ihn nicht los. Was sie für Folgen hat? „Ich will darüber gar nicht nachdenken, weil es mich nur kaputtmacht“, sagt er und nestelt an seiner Selbstgedrehten, die er bis zum letzten Millimeter raucht. Der nun studierte Jurist will sich engagieren, bei der Aidshilfe oder der Gefangenenhilfe. „Das ist für mich die beste Form der Bewältigung“, erklärt er. „Ich möchte einen Weg finden, um meine Erfahrungen und mein Wissen zu nutzen. So etwas soll keinem Gefangenen mehr passieren – oder zumindest nicht mehr so vielen wie heute.“

Philip Eicker

*Name geändert

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