Cord Schauenburg

1945-2005

Cord Schauenburg gehörte nicht nur zu den 329 mutigen Medizinern, die sich 1974 in einer konzertierten Aktion des Verstoßes gegen den Paragrafen 218 bezichtigten, sondern war auch einer der ersten Ärzte, die sich um Menschen mit HIV kümmerten. Sein Patient Stefan M. Weber erinnert sich an ihn.

Lieber Cord,
jetzt sitze ich hier am Computer und soll ein „Erinnerungsstück“ zu Dir schreiben. Mein Blick schweift auf Deine Traueranzeige, die an meiner Pinnwand hängt, inmitten anderer Traueranzeigen mir lebenswichtiger Menschen: Hans Frey, Joagnes Prüss, Michael Weltmann, Manfred Salzgeber, Melitta Sundström, Pepsi Boston, Arno Zedler, Michael Rauch, Andreas Salmen, Ronald M. Schernikau…

Schon so lange her, und nach wie vor völlig unbegreiflich.

Ach, es nimmt kein Ende, es sind viel zu viele, und alle sind sie „an den Folgen von Aids gestorben“. Wie schaffe ich das eigentlich täglich ohne sie? Bei Dir war’s der Krebs, ich schaue auf das Sterbedatum: 8. Oktober 2005. Schon so lange her, und trotzdem ganz nah, und nach wie vor völlig unbegreiflich.

Also nehme ich Dir das seit jetzt mehr als sieben Jahren eigentlich immer noch übel. Ich finde, es gehört sich einfach nicht, dass der Arzt vor dem Patienten stirbt! Auch wenn Du, Dein eigenes Wohlbefinden betreffend, wohl eher zu spät aufgehört hast zu praktizieren und Dich um Dich selbst zu kümmern.

Auch wenn Du dafür gesorgt hast, dass ein würdiger, fähiger, schlicht ganz wunderbaren Nachfolger für mich und Deine anderen Patient_innen da sein würde – ich nehm’s Dir trotzdem übel.

Eigentlich warst Du schon immer mein Arzt (ich erinnere keinen vor Dir). Auch schon zu den Zeiten, wo man lediglich mit Grippe oder einem sonstigen Zipperlein im Treppenhaus zur Praxis in der Reichenberger Strasse stand, schwach und fiebrig ans Treppenhausgeländer gelehnt, denn die Termine wurden vor Ort vergeben – was auch mal dazu führte, dass man zwei Stunden im Wartezimmer wartend vor sich hin litt.

Du hast dir für jeden Patienten die Zeit genommen, die es brauchte.

Auch als Ihr in späteren Jahren zu der revolutionären Neuerung übergingt, Termine im Voraus zu vergeben, kam man dennoch nicht pünktlich dran. Aber es hat sich auch kein vernünftiger Mensch beschwert, weil man wusste, dass Du Dir immer die Zeit für den betreffenden Patienten nahmst, die es jeweils brauchte.

Und dann hatte ich mein Testergebnis und stürzte in einen tiefen Abgrund. Als geborener Hypochonder gehörte ich durchaus nicht zu den Menschen, die sich nach einem positiven Testergebnis ganz neu und intensiv an grünen Bäumen und blühenden Blumen labten, die nach dem Ausbruch der Krankheit einen ganz neuen Sinn im Leben erblickten und jeden Tag „bewusst“ zu leben vorgaben.

 Du nahmst mich ernst, auch wenn ich panisch über die Stränge schlug.

Ganz im Gegenteil: Ich war wütend, verzweifelt und starr vor Angst. Und ich hatte in Dir die dringend benötigte Stütze. Du nahmst mich immer ernst, auch wenn ich panisch über die Stränge schlug. Du holtest mich auf den Boden der Tatsachen (soweit damals bekannt) zurück, warst informiert und machtest mit nichts vor.

 

Schauenburgs Grab auf dem St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg (Foto: Axel Schock)

In dieser Zeit ging ich in meiner Verzweiflung zu einer berlinweit bekannten Fußzonenreflexmasseurin. Das tat gut. Als sie mir sagte, sie sei in der Lage, mit Massagen, Eigenblutspritzungen und Wässerchen den bösen Virus aus meinem Körper zu vertreiben, war ich Feuer und Flamme.

Du sagtest nichts und ließest mich und sie gewähren. Eines Tages, als ich die Massagepraxis betrat, fielen mir dort alle um den Hals, strahlten und verkündeten jubelnd, der Virus sei aus meinem Körper verschwunden. Ich raste in Tränen aufgelöst und besoffen vor Glück zu Dir und verlangte einen weiteren HIV-Test. Ich werde Dein Gesicht nie vergessen. Als das Ergebnis eintraf, bat ich Dich, es mir nicht zu sagen.

Ein Jahr später ging es mir erbärmlich schlecht. Ich saß in Deiner Praxis, Du schautest auf die Werte der letzten Blutuntersuchung und machtest ein bedenkliches Gesicht. Ich wollte am nächsten Tag verreisen, also meintest Du nur, nach meiner Rückkehr müssten wir ernsthaft reden.

Wir wussten es damals nicht besser.

Dazu kam’s nicht mehr. Ich landete direkt im Auguste-Viktoria-Krankenhaus. Dort hast Du mich besucht und Dir Vorwürfe gemacht, dass Du mich überhaupt hast wegfahren lassen. Unsinn! Wir wussten es damals nicht besser.

Mein Glück im Unglück war, dass mittlerweile die neuen Medikamentenkombis gerade auf den Markt gekommen waren. Ich konnte nach sechs harten Wochen wieder nach Hause, betreut von HIV e.V. und Dir. Du saßt oft auf meiner Bettkante, meine Hand haltend und mir und Peter, meinem Lebenskampfgefährten, Trost und Hilfe spendend.

O Gott, diese ersten Medikamente: unzählig viele, nach einem minutiösen Zeitplan zu schlucken oder in Wasser aufgelöst runterzuwürgen. Die Kühlbox wurde auf unseren Reisen zu meinem ständigen Begleiter, Toiletten sollten tunlichst nicht zu weit entfernt sein – ein Dankeschön an die Raststättendichte auf deutschen Autobahnen. Aber es ging aufwärts.

Du warst da, immer und zuverlässig, bestens informiert, hoch aufmerksam, geduldig, abwägend und beruhigend. Und wie hast Du Dich mit mir gefreut, als die Medikamentenmenge im Laufe der Jahre zurückging, die Einnahme einfacher wurde und sich meine Werte auf ein erträgliches Maß einpegelten.

Und so hätte das ruhig noch eine Weile weitergehen können. Ich fühlte mich aufgehoben und gut betreut bis an mein vorzeitiges Lebensende.

Alle sind wir fassungslos und untröstlich

Und dann stehe ich plötzlich, mit vielen, vielen anderen an Deinem Grab auf dem Schöneberger St. Matthäus-Kirchhof. Alle sind wir fassungslos und untröstlich und versuchen hilflos und verzweifelt, Deinen fassungslosen und untröstlichen Lebensgefährten Bernd zu trösten.

Nein, ich habe es bis heute, über sieben Jahre danach, immer noch nicht begriffen. Und ja, ich nehme es Dir immer noch übel. Es ist keine Floskel: Ruhe in Frieden, Cord. Und Dank, Dank, Dank für alles. Das ist nicht wieder gutzumachen ….
Stefan

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