Stephanie Schmidt

1965-2010

Was bleibt von einem Menschen? Stephanie Schmidt hat durch ihre jahrelange Arbeit im Bereich Aids und Drogen unauslöschliche Spuren hinterlassen. Und noch viele Wochen nach ihrem Tod konfrontierte sie die Braunschweiger Bevölkerung von einem fahrenden Plakat mit dem trotzigen Slogan „HIV bestimmt nicht mein Leben“. Von Axel Schock

Wer sie etwas näher kannte, sah sofort, wie viel von Stephanie Schmidt in dem Motto „HIV bestimmt nicht mein Leben“ steckte: demonstrative Stärke, Selbstbewusstsein und Tatkraft. Das Motto hatte sich Stephanie für eine Aktion der Braunschweiger AIDS-Hilfe selbst ausgesucht. Zu lesen war es auf einer feuerroten Straßenbahn, die ein halbes Jahr als fahrendes Kunstwerk in der Stadt unterwegs war – plakatiert mit Porträtfotos von acht Menschen mit HIV.

Steph, wie Stephanie von ihren Freunden genannt wurde, zeigte Gesicht. „Von ihrer Krankheit ließ sie sich bis zum Ende nicht niederschlagen“, erinnert sich Jean-Luc Tissot an seine Mitstreiterin in der Braunschweiger AIDS-Hilfe. Ganz genauso hat sie der DAH-Drogenreferent Dirk Schäffer erlebt, der sie vor mehr als zwölf Jahren bei einem Treffen des Netzwerkes JES (Junkies, Ex-Junkies und Substituierte) kennenlernte: „Sie war sehr tough, hat sich als Person immer sehr zurückgenommen und stattdessen stets ihre Arbeit und ihr Engagement vorneweg gestellt“.

Bei ihrer Arbeit in der Aidshilfe habe sie sich für ihre Klienten stets so eingesetzt, als ginge es um Leben und Tod. So schildert Tino seine Lebensgefährtin und spricht von ihrem „ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“, einem „Helfersyndrom par excellence“, ihrem Mut und ihrer Warmherzigkeit – und davon, dass sie „wenig an sich selbst und ihre Gesundheit gedacht“ hat.

Am 22. Januar 2010 ist Stephanie Schmidt gestorben. Sie wurde 44 Jahre alt. Ihr Foto auf der Tram fuhr danach noch einige Wochen weiter durch Braunschweigs Straßen.

Wenn ich tot bin, müsst ihr feiern

„Willkommen“ von Rosenstolz, einer von Stephs damaligen Lieblingssongs, eröffnete die Trauerfeier in der Braunschweiger Dominikanerkirche St. Albertus Magnus. Ariane, Stephs zwanzig Jahre jüngere Schwester, hat den Abschied mitgestaltet. Nach der Zeremonie ließen die Freunde und Verwandten vor dem Gotteshaus als letzte Grüße Luftballons in den Himmel steigen. Danach saß man bei Kaffee und Kuchen in der Aidshilfe zusammen.

„Sie hat immer gesagt: ‚Wenn ich tot bin, müsst ihr feiern’“, erinnert sich Ariane. In ihrer frühen Kindheit hatten die Schwestern wegen Stephs Drogenkonsum keinen Kontakt mehr. Erst viele Jahre später fanden die beiden wieder zueinander. Dass ihre große Schwester an HIV und Hepatitis erkrankt war, wusste Ariane seit ihrem 14. Lebensjahr. Ein paar Jahre später –  in der Schule lief es bei Ariane nicht sonderlich gut – drängte ihr die Schwester ein Praktikum in der Aidshilfe auf, und Ariane stellte fest: „Das ist mein Ding.“ Dass sie danach ihr Fachabitur machte, studierte und nun staatlich anerkannte Sozialarbeiterin sei, habe sie allein ihr zu verdanken. „Ohne sie wäre ich diesen Weg nie gegangen. Dafür werde ich meiner Schwester auf ewig dankbar sein.“

Bis ein Nachfolger gefunden war, hat Ariane nach Stephs Tod kurzerhand für einige Monate deren Arbeit in der Aids-Hilfe übernommen. „Das war ihr Baby, das hatte sie aufgebaut, und das durfte jetzt nicht alles wieder untergehen.“ Das große Porträtfoto, das zur Trauerfeier in der Kirche aufgestellt worden war, wurde in ihrem Büro aufgehängt, und auf diese Weise bleibt sie auch ganz bildhaft an ihrem alten Arbeitsplatz präsent.

Für Dirk Schäffer wird Steph vor allem durch zwei markante Ereignisse in Erinnerung bleiben: zum einen durch die von ihr organisierte Braunschweiger Straßenbahnaktion und zum anderen durch ihre erste Begegnung im Jahr 1998. Steph war damals als eine der ersten Frauen ins Leitungsgremium von JES gewählt worden und hatte sich fortan engagiert für die Rechte und Probleme Drogen gebrauchender Frauen – ob mit oder ohne HIV – eingesetzt.

Lassen sich Trauer und Gedenken kollektiv bündeln?

Für ihn lebt Steph ein Stück weit auch im JES-Grundlagenpapier weiter, an dem Steph einst mitgeschrieben hatte. „Wer sich mit HIV und Drogen beschäftigt, weiß, dass man dem Thema Abschied und Sterben immer wieder begegnen wird. Irgendwann findet man einen Weg, sich darauf einzustellen, um nicht jedes Mal von einer solchen Todesnachricht überrollt zu werden“, sagt Dirk Schäffer.

Schweigeminuten sind ein Ritual bei JES-Treffen, um der verstorbenen Mitstreiter und Freunde zu gedenken. Auch Steph wurde diese Ehre zuteil. Aber lässt sich Trauer kollektiv bündeln? „Ich habe bei solchen Gelegenheiten immer viele Bilder von mir nahestehenden verstorbenen Menschen vor meinem inneren Auge“, sagt Schäffer. Ob man sich ähnlich intensiv auf ein solches verordnete Gedenken einlassen kann, dürfte sehr individuell und verschieden sein. Dirk Schäffer jedenfalls hat die Erfahrung gemacht, dass solche Gedenkveranstaltungen immer wieder auch Anlass dafür sind, sich über Erinnerungen an den Verstorbenen auszutauschen, aber auch, sich der eigenen Geschichte zu widmen und über sie nachzudenken.

In Stein gemeißeltes Gedenken

Dem Ritual der Gedenkminute steht das im wahrsten Sinne des Wortes in Stein gemeißelte Gedenken gegenüber: Gleich in zwei Pflastersteine wurde der Name Stephanie Schmidt gefräst und so Teil der vom Künstler Tom Fecht eingerichteten Denkräume „Namen und Steine“ – sie erinnern an Menschen, die an Aids verstorben sind. Einer dieser beiden Pflastersteine ist nun Teil einer Mauer an einem Wiesenhang beim Tagungshaus Waldschlösschen bei Göttingen, wo Stephanie bei vielen Positiventreffen mitgewirkt hat, der zweite wurde Anfang November zusammen mit weiteren Gedenksteinen in den Boden vor der Braunschweiger Martinikirche eingelassen.

Wendeburg ist ein kleines Städtchen im Kreis Peine, gute 18 Kilometer von Braunschweig entfernt. Auf dem dortigen Friedhof wurde Stephs Urne beigesetzt, im Grab ihres mit 19 Jahren verunglückten Sohnes. Im Januar jährte sich ihr Todestag zum ersten Mal. Ariane war aus diesem Anlass zum Grab gefahren, und sie war nicht allein. „Alle, denen dies wichtig war, waren gekommen“, erzählt sie. „Es war traurig, denn sie fehlte einfach in diesem Kreis von Menschen. Aber sie wollte, dass wir nicht trauern, sondern weiter unseren Träumen, Wünschen und Hoffnungen folgen.“

Nächstes Jahr, zur gleichen Zeit, wollen sie sich wieder an ihrem Grab versammeln.

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